Neustadt – „Eine Zahnbürste?“ Die drei Jahre alte Carolin betrachtet das Teil in ihrer Hand argwöhnisch. Dazu sollen auch noch Zahnpasta, Handcreme und Multivitamintabletten in das Weihnachtspaket. Das soll ein Geschenk sein?
Carolins Erzieherin Jana in der Johanniter-Kita Weltkinder in Hannover-Buchholz beantwortet die Frage so: „Es gibt ein Land, das heißt Ukraine. Dort wohnen Familien, die nicht so viel Geld und so viele Sachen haben wie wir. Die Menschen freuen sich sehr über Mehl, Zucker, Kakaopulver und Duschgel.“ Es kommen aber auch Schokolade, Kekse und ein Kinderspielzeug mit hinein. Das ist gut. Carolin legt bunte Stifte und ein Malbuch in den großen Karton. Jetzt noch ein Bild malen für das Kind in dem fremden Land. Und fertig ist das Paket.
Weihnachtstrucker 2020. Seit mehr als zwei Wochen wird in ganz Deutschland gepackt und gesammelt.
In den Dienststellen und Kitas der Johanniter-Unfall-Hilfe stapeln sich die bunten Kartons. Noch bis Montag, den 14. Dezember, werden Pakete angenommen. Auch im Corona-Jahr schafft es die Hilfsorganisation, den Konvoi mit Paketen nach Osteuropa zu schicken. Zwar unter veränderten Bedingungen, aber er fährt. Die Johanniter können sich aufgrund der Ansteckungsgefahr diesmal nicht selbst auf den Weg machen, sondern nutzen die über die Jahre aufgebauten Kontakte, allen voran zum Deutsch-Ukrainischen Forum, um die Pakete zu transportieren und verlässlich zu verteilen. Walter Busse, Vorstandsmitglied im Regionalverband Niedersachsen Mitte, dankt allen Helferinnen und Helfern für ihr Engagement und ihre kreative Flexibilität.
Er sagt: „Der Weihnachtstrucker ist ein Signal des Mitgefühls. Wir wissen, dass viele Familien auf ein Paket warten. Deshalb freuen wir uns über jeden, der die Aktion unterstützt.“ Im vergangenen Jahr wurden bundesweit 64 400 Pakete gepackt und auf die Reise geschickt. Der Regionalverband hat 1400 dazu beigesteuert. Wie viele werden es wohl in diesem Jahr sein?
Einer, der die diesjährige Sammelaktion mit einer finanziellen Spende unterstützt, ist Dmitrij Portnov aus Hannover. Vor 27 Jahren kam er als 15-Jähriger mit seiner Mutter und den Großeltern aus dem ostukrainischen Donezk nach Deutschland. „Gerade in den ersten Jahren war es nicht leicht für mich“, sagt der 43-Jährige Chef einer Werkstatt für Nutzfahrzeuge in Wunstorf (WSN) rückblickend, „aber Deutschland gab mir die Freiheit und alle Möglichkeiten.“ Der Johanniter-Weihnachtstrucker sagt ihm zu, weil es materielle Hilfe ist, die die Menschen dort erreicht.
„Ich möchte ein Teilchen beitragen, weil es in der Ukraine für die Menschen, die wenig haben, immer nur noch schlimmer wurde“, sagt der Vater von zwei Kindern. Seine Schwiegermutter lebt noch in der Ukraine. Dmitrij Portnov und seine Frau schicken ihr Pakete, sobald sich eine Fahrgelegenheit ergibt.
Der Inhalt ist oft der gleiche wie in einem Weihnachtstruckerpaket, sagt der gebürtige Ukrainer, nämlich Lebensmittel und Konserven, aber auch Kleidung oder ein Wasserkocher.
Unterstützung für den Weihnachtstrucker kommt auch aus der Politik. Niedersachsen Kultusminister Grant Hendrik Tonne, MdB Caren Marks und die drei Landtagspolitiker Wiebke Osigus, Claudia Schüßler, Rüdiger Kauroff hätten in diesem Jahr gerne wieder persönlich bei einer großen Packaktion mitgeholfen.
Das war wegen Corona nicht möglich, was die Politiker aber nicht davon abhielt, zu Hause ein Paket zu packen oder die Aktion mit einer finanziellen Spende zu unterstützen. „Unsere Aufmerksamkeit liegt zurzeit auf der Corona-Pandemie. Gerade jetzt ist es wichtig, solidarisch miteinander zu sein, und das auch mit Menschen, die weiter weg leben und Hilfe von uns dringend benötigen“, begründet Grant Hendrik Tonne sein Engagement.
Auch das Jobcenter Region Hannover und enercity beteiligen sich am Weihnachtstrucker. „Im vergangenen Jahr sind bei uns schon viele Pakete zusammengekommen. Es ist schön, dass das Interesse auch in diesem Jahr wieder groß ist.
Es gibt sogar Kolleginnen und Kollegen, die gleich mehrere Pakete packen, weil ihnen diese Aktion so gut gefällt“, sagt Jobcenter-Pressesprecher Ulf Lasko Werner. Für enercity ist es das erste Mal. „Wir suchten nach einem Projekt, dass sich aufgrund der Corona-Pandemie kontaktarm organisieren lässt und zum Jahresende hin positive Energie erzeugt“, sagt Elektroingenieur Adrian Goebel von enercity. Goebel ist einer von 14 Kolleginnen und Kollegen des unternehmenseigenen Nachwuchskräfteprogramms. Der Weihnachtstrucker habe sie sofort begeistert. Dank ihrer Hilfe kamen bei der Premiere rund zwei Dutzend Pakete zusammen.
Bei den Johannitern herrscht intern ebenfalls Weihnachtstrucker-Fieber. In vielen Einrichtungen wurde im kleinen Kreis gepackt und bei einer Challenge nominierten Kollegen sich gegenseitig mit dem Auftrag mitzumachen.
So kamen von Vorständen, Dienststellenleitern, Mitarbeitern aus dem Rettungsdienst und dem Hausnotruf, ehrenamtlichen Helfern und vielen mehr Pakete aus dem gesamten Regionalverband Niedersachsen Mitte zusammen. In allen befindet sich gemäß Packliste der gleiche Inhalt. Das ist fair gegenüber den Empfängern und erleichtert den Übertritt am Zoll. Einen kleinen Unterschied gibt es aber doch: Manchmal liegen Weihnachtskarten oder selbst gemalte Bilder mit im Paket. So wie das von Carolin. Ein Baum ist drauf mit bunten Kugeln und am Himmel blinkt ein großer, heller Stern.
Alle Informationen zum Weihnachtstrucker (Packliste, Sammelstellen…) finden sich im Internet unter www.johanniter.de/weihnachtstrucker. Darüber hinaus gibt es in diesem Jahr die Möglichkeit, „virtuelle“ Päckchen zu packen durch Geldspenden, die Teile des Inhalts oder ein komplettes Päckchen finanzieren. Die eigentlichen Päckchen stellen die bewährten Partner in den Empfängerländern zusammen. Auf der Internetseite www.weihnachtstrucker-spenden.de kann jeder ein Päckchen – oder auch zwei und mehr – packen.
NCN/ds